Europas erfundene Geschichte

Uwe Topper
DIE „GROSSE AKTION“
Europas erfundene Geschichte
Die planmäßige Fälschung unserer Vergangenheit von der Antike bis zur Aufklärung

Grabert-Verlag Tübingen 1998
ISBN 3-87847-172-6
286 Seiten, Pb.

 

Uwe Topper hat sein neues Buch veröffentlicht. Der Titel macht neugierig: Europas Geschichte soll erfunden sein? Das kann doch gar nicht möglich sein, denn es gibt doch unzählige Geschichtsbücher, Dokumente, Überlieferungen, archäologische Funde und und und ... ? Das glauben wir, weil wir es nicht besser wissen, und weil wir unseren Geschichtswissenschaftlern vertrauen. Sie haben ihr Wissen studiert, und dann muss es wohl stimmen, was sie uns erzählen, oder?

Uwe Topper ist der Sache auf den Grund gegangen und hat selbst nachgeforscht. Je weiter er in den Sumpf der so unantastbar erscheinenden Geschichte vordrang, um so größer wurde der Gestank.

Unsere Geschichtsbücher basieren überwiegend auf „alten“ Urkunden. Doch die gibt und gab es gar nicht! Bestenfalls sind „Abschriften“ von „Originalen“ vorhanden, die es auch niemals gab. Diese variieren auch noch untereinander (welcher Kopist war eigentlich so dumm, dass er von einem angeblichen Original nicht einmal zwei gleichlautende Abschriften erstellen konnte?) oder lassen in den Zeilen Platz für die nachträgliche Einfügung von Namen und Daten. Das wertvolle Original ist dann „verschollen“. Topper spricht es aus, was auch schon anderen aufgefallen ist: Die vorgegebenen Originale gab es nicht.

Unsere Geschichtsschreibung stammt aus den Fälscherwerkstätten der Kirche, die sich, nach Topper, frühestens nach dem 10. Jahrhundert in Frankreich gründete, später nach Rom überwechselte (diese These stellte schon Thomas Riemer 1991 auf und wurde dafür ausgelacht) und natürlich größtes Interesse daran hatte, eine möglichst weit zurückreichende Geschichte zu erfinden. Man entwarf zunächst ein Geschichtsgerüst und füllte dieses dann aus durch die Erfindung von Märtyrern und Heiligen, Kaisern, Königen, Päpsten, Bischöfen usw. Das konnte natürlich nur funktionieren, wenn außer wenigen Schreibern in den Klöstern so gut wie niemand lesen und schreiben konnte. Man schreckte zur Untermauerung des Geschichtsgerüstes vor nichts zurück. Auch Grabsteine mitsamt den falschen Inschriften wurden hergestellt.

Von Kaiser Otto (dem I., II. oder wem? Es war derselbe) stammt der Ausspruch, dass er in seiner Regierungszeit willkürlich das Jahr 1000 festgelegt habe. Das war für ihn auch kein Problem, denn vorher gab es keine einheitliche Jahreszählung.

Topper belegt und zitiert fast alles und schreibt in einem lockeren Tonfall, dass es eine Freude ist, seinen Ausführungen zu folgen. Tacitus und die römische Geschichte? Ab in den Papierkorb. Die lateinische (Kunst-) Sprache ist erst mit der Kirche aufgekommen und anfangs (also etwa um 1000) noch so fehlerhaft und primitiv, wie es eine erfundene Sprache in den Anfängen nun mal ist. Erst viel später wurde sie zu dem, was wir heute als Latein kennen.

Griechische Überlieferungen? Auch sie stammen aus den Federn der phantasievollen mittelalterlichen Schreiber. Die Bibel, das christliche Standardwerk per se: sie stammt aus dem 11. Jahrhundert. Vorher gab es ja keine Kirche, die eine Bibel benötigt hätte. Parallel dazu die jüdische Thora: sie wurde erst um das Jahr 1000 von den Masoreten geschrieben und zurückdatiert ...

Aber haben wir nicht die Qumran-Rollen, die uns belegen, dass unser Geschichtsbild so einigermaßen stimmen muss? Fehlanzeige! Auch sie stammen aus dem 10. bis 12. Jahrhundert.

Wenn so mancher dennoch Zweifel an Toppers „Rundumschlag“ hat, es könne doch nicht alles gefälscht sein, denn da ist doch noch China mit seiner Jahrtausende alten Kultur, dessen Jahresdatierungen mit christlichen Zeiten übereinstimmen, so klärt Topper auf, dass auch Chinas Geschichte erst von den Jesuiten geschrieben - sprich: gefälscht und erfunden - worden ist.

„Wenn durch mein Buch der Eindruck entstanden ist, dass alle diese erhebenden und lehrenden Bücher der Bibel und Kirchengeschichte, ja viele heidnische Werke ebenfalls, sich als Fälschung und Betrug erweisen, dann muss ich noch einmal korrigieren: Es geht um ihre Datierung, ihre Urheberschaft und den zur ,Realität‘ gerechneten Inhalt - diese sind unsinnig. [...] Wenn man die zahlreichen Handschriften und Erstdrucke ihres Pseudonyms entkleiden würde, [...] die Fabeln um das Leben Jesu in den Evangelien als Ritterroman neben König Arthur stellen würde, dann - so meine ich - büßten sie nichts von ihrem Wert ein [...] und verlören den ihnen anhaftenden Geruch von Lüge und Propaganda.“

Sicher kann man als Leser nicht erwarten, dass Topper ein neues Geschichtsbild aufstellt. Auch dürfte ihm hier und dort ein Fehler unterlaufen sein. Doch das tut seinem mutigen Schritt keinen Abbruch. Im Gegenteil: Wenn er ein mustergültiges neues Geschichtsbild präsentieren würde, dann müsste man misstrauisch werden.

Für am Thema Interessierte kann ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen, es öffnet die Augen!

[(c) 1999 Gernot L. Geise]


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