Walter Jörg Langbein
Lexikon der Irrtümer des Neuen Testaments
Von A wie Apokalypse bis Z wie Zölibat
Langen Müller, München 2004
333 Seiten
ISBN 3-7844-2975-0
Es soll dem Titel nach ein Lexikon sein, weshalb wohl auch das heillose Durcheinander der einzelnen Themenbereiche herrührt. Denn dass die einzelnen Kapitel alphabetisch geordnet sind, bemerkt man nicht unbedingt, zumindest nicht sofort. Sinnvoller wäre es m.E. allemal gewesen (da wohl kaum jemand dieses Buch als Lexikon benutzen wird), die Themen chronologisch zu ordnen. So wird von Jesu Geburt zu seiner Kreuzigung und danach wieder in seine Jugendzeit usw. hin und her gesprungen.
Worum geht es in dem Buch? Wie der Titel schon aussagt, um die Irrtümer des Neuen Testaments, genauer: Um Jesu Leben. Dass diese Geschichte nur so von Widersprüchen und Falschaussagen wimmelt, wissen wir zwar schon, aber Langbein bringt es auf den Punkt und zitiert sie einzeln.
Walter-Jörg Langbein darf man Kompetenz unterstellen, denn er hat evangelische Theologie und Judaistik studiert. Bei seinen Recherchen waren seine Sprachkenntnisse in Hebräisch, Griechisch und Latein von großem Nutzen, weil er Bibelaussagen mit (soweit möglich) älteren Urtexten vergleichen konnte. Dabei stellte er fest (das hatte bereits Francesco Carotta [„War Jesus Caesar?“] gemerkt), dass sich bei den Hin- und Her-Übersetzungen so manche Falschübersetzung eingeschlichen hat.
Ich frage mich natürlich (als neutraler Beobachter), wie es möglich ist, dass die Bibel (Altes wie auch Neues Testament) als „Wort Gottes“ gilt, wenn jeder Übersetzer oder Kopierer nach Gutdünken die Texte verändert hat, wie er sie sich vorstellte. Wenn es wirklich „Gottes Wort“ wäre, dann müsste jede niedergeschriebene Aussage unveränderlich heilig sein, denn jede Veränderung würde ja bedeuten, Gott das Wort im Munde herum zu drehen, eine Blasphemie sonder gleichen!
So auch die Aussagen von Jesus, der schließlich zu Gottes Sohn hoch stilisiert worden ist (ob er es nun selbst von sich behauptet hat oder nicht). Langbein flüchtet sich (mit Rückendeckung anderer Bibel-Wissenschaftler) aufgrund fehlender eindeutiger Beschreibungen von Jesus Leben in die Vermutung, dass viele, wenn nicht alle Aussagen und Sprüche, möglicherweise auch die wundertätigen Handlungen, als „frommes Wunschdenken“ erst von späteren Generationen erfunden und eingefügt worden seien, um die großen Lücken in seinem Leben zu füllen.
Das klingt einleuchtend, vielleicht war es auch tatsächlich so. Allerdings zeigt es recht eindrucksvoll, dass nicht nur die Figur Jusus offenbar doch „nur“ eine viel später geschaffene nützliche Phantasiefigur ist, die benötigt wurde, um eine neue Religionsrichtung kreieren zu können (was letztendlich zunächst nur eine Abspaltung von der jüdischen war). Weiterhin hatten die Autoren des Neuen Testaments ganz offensichtlich weder eine Ahnung von der politischen Situation jener Zeit noch von den jüdischen Religionseigenschaften und -praktiken. Und wenigstens dies hätten sie zwingend wissen müssen, falls sie Zeitzeugen waren und nicht irgendwelche Mönche, die mehr als tausend Jahre später lebten.
Jesus ist eine reine Figur des Glaubens. Wissenschaftlich nachweisen lässt er sich nicht, auch nicht anhand der Bibel. Er taucht nirgends auf, in keiner einzigen erhaltenen Schrift aus jenen Jahrhunderten. Das hat Langbein sehr richtig erkannt.
Da die einzelnen im Neuen Testament vorhandenen Evangelien keinesfalls zueinander kompatibel sind, sondern teilweise direkt widersprüchliche Schilderungen enthalten, wie Langbein nachdrücklich aufzeigt, wozu auch die diversen Verweise auf Prophezeiungen im Alten Testament gehören, die ausnahmslos falsch sind, muss man sich allen Ernstes fragen, in welchem Kloster des späten Mittelalters diese Märchen erfunden worden sind. Denn dass die Evangelien zweitausend Jahre alt sein sollen, woran seltsamerweise auch Langbein keine Sekunde zweifelt, ist ja wohl ein Witz, zumal die teilweise fiktiven Ortsangaben gerade mal dem spätmittelalterlichen (Un-) Wissensstand entsprechen.
Es erinnert mich an die Schule: Der Lehrer gibt der Klasse ein paar Stichworte, vielleicht noch einen zeitlichen Aktionsrahmen, und verlangt dann, dass um diese Stichworte ein Aufsatz geschrieben wird. Die Stichworte werden sich in jedem Aufsatz wiederfinden, und trotzdem wird sich jeder Aufsatz von den anderen unterscheiden, genau wie es mit den Evangelien der Fall ist.
Ich vermisste in dem Buch eine tiefer gehende Untersuchung des Kreuzigungs-Rituals. Langbein lässt zwar anklingen, dass es möglicherweise gar keine Kreuzigung war, sondern Jesus an „einen Pfahl“ gehängt wurde, bleibt aber dabei, dass es bei den „Römern“ Brauch gewesen sei, Verbrecher zu kreuzigen. Und das war eben nicht so. Die „Römer“ kannten diese Art der Bestrafung nicht. Es gab jedoch fernab vom „zivilisierten Rom“ in Germanien einen „wilden“ Barbarenstamm, der Verbrecher kreuzigte. Und das berichtete Julius Caesar in seinem „Gallischen Krieg“ der Bevölkerung „Roms“, woraufhin diese über einen solch barbarischen Brauch entsetzt war. Hätte sich auch nur ein einziger „Römer“ darüber aufgeregt, wenn in „Rom“ dieselben Praktiken angewendet worden wären?
Vielleicht handelt es sich aber auch bei der angeblichen Kreuzigung in Wirklichkeit um den römischen Brauch, einen verstorbenen Herrscher (Jesus galt doch angeblich als „König der Juden“) an religiösen Stätten in Form eines „Tropaeums“ aufzustellen [Carotta, „War Jesus Caesar?“]. Das sah so aus, dass über ein Holzkreuz (!) Kleider des Verstorbenen gehängt wurden, so dass der Querbalken in den Ärmeln steckte. Zusätzlich befestigte man eine Wachsmaske des Verstorbenen am oberen Teil des senkrechten Balkens sowie verschiedentlich auch Beine aus Wachs am unteren Teil des Längsbalkens. Und schon bot dieses „Tropaeum“ den Anblick eines Gekreuzigten. Da solche Darstellungen auch auf römische Münzen geprägt wurden, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Kompilatoren des Neuen Testaments von ihnen wussten, dieses Motiv aber missdeuteten und dann geschickt in ihre erfundene Religionsgeschichte mit einbauten.
Ein weiterer Punkt, den Langbein etwas besser hätte recherchieren können, ist die Sache mit Gott Mammon. Dieser Gott, der in Ägypten fast ein Jahrtausend zu den größten Göttern gehört hatte, ist keinesfalls mit einer Göttin Mammitu oder Mammetun, auch nicht mit einer Göttin Mamre verwandt. Solche krampfhaften Verdrehungen sind gar nicht nötig. Gott Mammon hat unbestreitbar mit Geld (im negativen Sinn) zu tun. Er ist identisch mit dem ägyptischen Gott Amon, der nur bei uns so heißt. In anderen Sprachen heißt er nach wie vor Amen. Und nun wissen wir auch, welcher Gott in den christlichen Kirchen nach jedem Gebet angerufen wird. Das „Amen“ hat nämlich absolut nichts mit „So sei es!“, wie es immer wieder fehlinterpretiert wird, zu tun. Bestenfalls mit „So sei es, solange Amen, der Götze des Mammon, herrscht!“. Für Moses war Amen/Amun ein Götze, der Teufel, weshalb er bestimmte, den Namen als Fluchwort zu benutzen. Beispiel: „Verflucht sei, wer bei seiner Schwiegermutter liegt! Und alles Volk soll sagen: ,Amen‘!“ (5. Moses 27,23 und 4. Moses 5,22).
„Darum preisen wir Deinen Namen jetzt und in alle Ewigkeit, Amen!“. Wessen Namen? Den des Götzen Amen/Mammon. Der Einwand, das Wort Amen habe in der christlichen Welt von heute eine andere Bedeutung bekommen, ist ja wohl lächerlich, denn auch heute noch regiert Mammon die Welt, und nicht nur die christliche, wie jeder weiß [s. Hans Werding: „War Moses Tutenchamun?“, EFODON DO-34, 1997].
Dass der Gott/Götze Amen/Amon/Mammon in die christliche Religion aufgenommen worden ist, hängt schlicht und einfach damit zusammen, dass die christliche Kirche im Laufe ihres Bestehens alle heidnischen Kulte, deren sie habhaft werden konnte, in die eigene Religion integriert hat, wobei oft genug von den Festtagen bis zu Riten und Zeremonien alles erhalten blieb, teilweise nur mit einem durchsichtigen christlichen Mäntelchen versehen.
So auch mit dem Vaterunser, das keinesfalls von Jesus erfunden wurde, es sei denn, Jesus hätte es bei Kelten oder Germanen gelernt. Aber dorthin kam er ja nie. Das Vaterunser ist nämlich das Alfa(ter)(ge)bet, das auf dem Alfabet aufbaut. Und mit dem Alfabet ist nicht etwa unser heutiges, sondern das „Alte Runen-Alfabet“, das Futhark (ƒúdårk), gemeint (siehe Kasten) [Carl Faulmann: „Das Buch der Schrift“, Wien 1880].
Wer hat sich eigentlich schon einmal Gedanken gemacht, warum das Vaterunser in unserer Sprache unüblich „Vater unser“ heißt, obwohl es korrekt „Unser Vater“ heißen müsste? Warum hat man bei der Bibelübersetzung ins Deutsche diesen Satz so unüblich übernommen? Es liegt wahrscheinlich daran, dass man ihn nicht zu übersetzen brauchte, außer ins Lateinische, denn dieses Gebet kannte bereits jeder „Heide“, und zwar in dieser Form. Was lag eigentlich für die neu gegründete Kirche näher, als dieses wichtigste Gebet der „Heiden“ gleich mit zu vereinnahmen und als „Wort Jesu“ auszugeben?
Demgemäß stimmt die „knappe“ Version des Vaterunsers von Lukas am ehesten mit dem Futhark-Gebet überein. Langbeins Schlussfolgerung: „Das ‚Vater unser‘ gibt es nicht und hat es vermutlich auch nie gegeben ...“ ist definitiv falsch. Er hätte genauer formulieren müssen, etwa so: „Das Vaterunser wurde vom ‚Heidentum‘ übernommen. Die vier Evangelisten waren sich jedoch nicht einig, wie es übersetzt werden musste, wohl aus Unkenntnis der alten Runenschrift“ (Was wiederum für eine sehr späte Niederschrift der Evangelien spricht).
Und noch etwas Hübsches: Die Sache mit dem Ausspruch „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ hat auch Langbein nicht verstanden, so wie dieser Spruch (fast) täglich falsch benutzt wird. Obwohl der wahre Sinn durchaus hindurch schimmert, wenn der Spruch im Textzusammenhang gelesen wird. Dabei ist es so einfach: Wer ist denn eigentlich mein „Nächster“? Das ist nicht etwa mein Nachbar, sondern mein eigener Körper, den ich in diesem Leben benutze und der durch meine/n Geist/Seele belebt wird. Wenn ich meinen Körper nicht liebe, dann kann ich zusehen, wie er langsam aber sicher krank wird und verfällt. Und wie kann ich anderen Menschen eigentlich helfen, wenn ich (und mein Körper) nicht dazu in der Lage sind? Zuerst muss ich selbst topfit sein, dann kann ich auch für andere etwas tun, anders ist das nicht möglich. Das, und nichts anderes, ist die Aussage dieses Spruches. Und weil er wichtig ist, kommt er an verschiedenen Stellen der Bibel mehrfach vor - und wird von den Wenigsten verstanden.
Jesus und die UFOs darf in diesem Lexikon natürlich nicht fehlen. Zeitgemäße neue Märchen um das alte Thema. Es ist richtig, dass Langbein diesen immer wieder aufkeimenden Unsinn anprangert. Allerdings überzeugen seine Erklärungen nicht unbedingt. Der „Stern von Bethlehem“, hinter dem die drei „Weisen aus dem Morgenland“ herzogen, ein UFO? Eine solche Annahme kann nur entstehen, weil die Bibelaussagen nun mal nicht stimmig sind und in jedem Evangelium etwas anderes steht. Aber Langbeins Erklärung für den „Stern“, es sei eine Planetenkonstellation zwischen Jupiter und Saturn gewesen, bei der die beiden Planeten wie ein einziger Stern gewirkt hätten, zeugt nur davon, dass Langbein wohl niemals des Nachts zum Himmel hochgeschaut hat. Sonst wüsste er, dass auch beide Planeten zusammengenommen keinesfalls eine überragende Lichtfülle besitzen, die dem Bibel-Stern entsprechen würden.
Hinzu kommt, dass die Menschen vor zweitausend Jahren durchaus in der Lage waren, einen Schweifstern von normalen Planeten zu unterscheiden, Konstellation hin oder her. Das bezeugen die zahlreichen Sternenbeobachtungsanlagen jener Zeit rund um die Welt. Zumal kein Stern oder Planet so tief „fliegt“, dass man hinter ihm herziehen könnte, geschweige denn, dass er über einem bestimmten Haus stehen bleiben kann.
Eine schlüssige Erklärung für den „Stern von Bethlehem“ gibt es bis heute nicht, und so regt sich der Verdacht, dass die „Evangelien-Aufsatzschreiber“ des späten Mittelalters auch hier wieder ihrer Phantasie freien Lauf ließen. Obwohl das zeitgenössische Wissen damals hinter Klostermauern gehütet wurde, war viel altes Wissen vergessen, und dazu gehörten auch die astronomischen Erkenntnisse unserer Vorfahren.
Zusammenfassend kann zu Langbeins „Lexikon“ gesagt werden, dass es durchaus interessant geschrieben ist. Zum Glück betont der Autor (wenn auch zaghaft) mehrfach, dass die Bibel zwar voller Widersprüche und Falschaussagen steckt, man das aber nicht mit dem Glauben verwechseln möge. Man kann auch an etwas glauben, ohne einen dingfesten Nachweis in der Hand zu haben. Und das ist gut so, denn allzu schnell hat man einem Menschen den „Glaubens-Stuhl“ unter dem Hintern weggezogen. Und wer fängt ihn dann auf?
(Gernot L. Geise)
(SY 5/2004)